Intensitätsmodulation zum Jahresbeginn

Januar 2009.


Intensitätsmodulation zum Jahresbeginn.
Mein letztes Vierteljahr ist eingeläutet.





Als in Phnom Penh der Silvesterabend begann, regnete es in Strömen und hörte erst Stunden später am 1. Januar auf, der hier "International New Year's Day" genannt und nicht sehr ernst genommen wird. Denn das "echte" neue Jahr beginnt ja mit dem Khmer-Neujahrsfest, auf das ich nicht mehr warten kann - im April werde ich bereits wieder in Deutschland sein. Wir betrachten von meiner Wohnungstür aus das Neujahrsfeuerwerk, dem seine Nationalität ziemlich schnuppe ist, und wünschen uns einfach nur, dass es bald aufhören möchte zu regnen. Die bunten Lichtergarben funkeln über dem Hun Sen Park, dem nassen Element zum Trotz.


Ich werde nicht Zeit haben für großartige Verhaltensänderungen in Phnom Penh, und gute Vorsätze überlasse ich eh lieber anderen. Dennoch will ich mir ab sofort mehr Zeit lassen bei den kleinen und nur bei oberflächlicher Betrachtung unbedeutenden Beschäftigungen in meiner Heimatstadt auf Zeit. Viel zu häufig bin ich, wie aus Berlin gewohnt, zur Arbeit geeilt und habe mir keine Muße zugestanden, die ich mir gegönnt hätte, wäre ich als Touristin hier. Aber was anderes als Touristin bin ich, mit einem Mehrmonatsvisum zwar, aber letztlich immer mit dem Blick einer Fremden und von außen auf dieses Land und seine Menschen? Das werde ich in den nächsten Wochen kaum ändern können, nur ruhiger mag ich es angehen, um den Abschied schon vorzubereiten, der unausweichlich ist und der zugleich, wenn ich es schlau anfange, den Willkommensgruß der Zukunft vorbereiten kann.


Ich werde ...


... mir mehr Zeit nehmen für die Enkelin meiner Zeitungshändlerin, die ich seit zwei Jahren kenne und die inzwischen allein laufen kann; die inzwischen keine Angst mehr vor mir, der Ausländerin, hat und stolz darauf ist, dass die Oma ihr jeden Morgen die Zeitung in die Pfötchen drückt, damit sie sie mir selbst überreichen kann; und die, wenn ich ihr das Geld gegeben habe und mich beim Davonhasten noch einmal kurz zu ihr umdrehe, um ihr zuzuwinken, die Scheine ein paar Augenblicke ganz fest an die schmale Brust gedrückt hält, bevor sie sie leicht widerstrebend der Oma aushändigt, denn es ist ja das erste Geld, das sie so jeden Tag verdient;


... so viele Ausflüge mit meinem Tuk-Tuk-Fahrer Mr. Thi machen, wie ich in meine Wochenenden hineinquetschen kann, denn in wenigen Wochen wird er zum zweitenmal Papa und für eine Weile der Alleinverdiener der Familie sein und jeden Dollar brauchen, weil seine Frau nicht gleich nach der Geburt in ihrer Textilfabrik in Takmao wird arbeiten können (jedenfalls wünsche ich ihr das, wie ich ihrer Familie auch wünsche, dass alle gesund bleiben, da es keine Krankenversicherung gibt wie bei uns und sich der Zugriff auf ärztliche Versorgung – gleichermaßen hinsichtlich Quantität und Qualität - über das Portemonnaie regelt);


... früher die Tür meines kleinen Büros abschließen, damit ich die einzigartigen Sonnenuntergänge genießen kann, die den strahlend blauen Trockenzeit-Himmel in Lachsrosa- und Blutorange-Töne tauchen und die schon bald dem schwärzesten der schwarzen Firmamente weichen, das aber geschmückt ist von Tausenden perlchengroßer Sterne, wie wir die Nacht in unseren Hauptstädten nie sehen können, egal von welcher Dachterrasse aus;


... weiterhin über den Müllberg vor der Grundschule an der Kreuzung der Straßen 51 und 240 klettern, der sich ausbreitet direkt gegenüber vom Rechnungshof, und mir die Nase zuhalten, aber ohne mich wie üblicherweise zu echauffieren, was mir schwer fallen wird, besonders in der jetzt beginnenden Sonnenzeit, und ich werde es weiterhin nicht lernen, mich an der bizarren Vielfalt der Abfallhaufen auf Bürgersteigen in der Innenstadt, vor Haustüren der Hütten und Villen, in den anderen Aufgaben zugedachten Gullys und an einst romantisch grünen Uferböschungen zu erfreuen;


... öfters im Psaar Kab Koh, dem kleinen überdachten Markt in der Nähe meiner Wohnung, einkaufen gehen, was ich bisher nur am Wochenende mache, weil mir diese dunkle Welt aus Handel, Tratsch und Kinderspiel in ihrer Enge und Geruchsintensität zu anstrengend ist, weil es mich schon jetzt viel Überwindung und Kunstfertigkeit kostet, nur meine freundliche Marktfrau im Innern der Halle aufzusuchen und auf dem Weg dorthin nicht auf den Fischköpfen und abgeschnittenen Locken auszurutschen, obwohl sich dort kambodschanischer Dorfalltag in geballter Form abspielt, inklusive frei herumlaufender Hühner und unbeliebter Nagetiere, was ein ehrlicheres Bild der kambodschanischen Wirklichkeit abgibt als mein klimatisiertes Büro;


... die Hoffnung weiter nähren, dass das eine oder andere Gebäude aus der französischen Kolonialzeit überlebt und junge Kambodschaner/innen die zeitlose Schönheit mediterraner Architektur schätzen lernen lässt, obwohl die Chancen zugegebenermaßen gering sind und die Franzosenbauten täglich weniger werden, da die Gier eine stärkere Triebfeder menschlichen Handelns zu sein scheint als der Sinn für Ästhetik, wie wir gerade am Schicksal des Hotels Renakse (gegenüber vom Königspalast) erfahren müssen, dessen 100jährige Grazie wohl bald nur noch auf Fotos, meinen zum Beispiel, genossen werden kann, während die herrschende Partei, die das Hotel unter Missachtung des Pachtvertrages verkaufte, sich wie üblich ins Recht setzt;


... die Fischkonserven der Marke "The Lady Cooks" mit den Konterfeis von drei hübschen Damen auf der Banderole nicht mehr für eine besonders geschickte Wahlwerbung der Cambodian People's Party (CPP) halten¹, weil die CPP zwar als "ruling party" die Nationalversammlung dominieren und die Oppostion aus allen parlamentarischen Betätigungen ausschließen mag, aber den Lebensmittelhandel noch nicht beherrscht;


... deshalb weiterhin die wunderbare kulinarische Vielfalt Phnom Penhs genießen und mir wünschen, dass meine Versuche in Toleranz (siehe oben) nicht vergebliche Übungen sind, dass es hier auch sonst weiter bunt bleibt, doch vielleicht weniger laut, und dass es weiter so lebendig ist, doch vielleicht etwas rücksichtsvoller im Umgang miteinander, wie es einer charmanten Rasse wie dem Khmervolk eigen sein sollte.

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¹ Wer kein Dosenfutter mag und besonders keine Fischkonserven (was ich ja bei dem wunderbaren Angebot an Frischfisch in Kambodscha bestens verstehen kann), dem ist sicher noch nicht aufgefallen, wie sehr diese kleinen namengebenden Damen ("The Lady Cooks") in ihrer Anordnung auf der Verpackung dem Dreierführungsgespann der CPP (Hun Sen, Heng Samrin und Chea Sim) auf den letzten Wahlplakaten ähneln. Wer nur mit den drei Herren etwas anfangen kann, dem empfehle ich einen Ausflug ins nächste Lebensmittelgeschäft.


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 9. Januar 2009.


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