Happy New Year!

April 2007.


Happy New Year!
Vom unschätzbaren Glück, den Beginn eines neuen Jahres innerhalb von vier Monaten mehrmals feiern zu können.





Der April beginnt hier nicht mit Scherzen, sondern mit einem Blick aufs Thermometer: Stetig, mit täglichen Erhöhungen, steigt die Temperatur über die Dreißiggradmarke. Am Monatsende wird sie sich bei vierzig eingerichtet haben, und danach kommt endlich der erfrischende Regen.


Aber es ist nicht die Hitze, die meine Kursteilnehmer glasig gucken lässt und sie in eine Dauer-Lächel-Starre (bei zeitweisem Absinken des Kopfes auf Brusthöhe und ausgedehntem Gähnverhalten des gesamten Körpers) versetzt. I wo, die kamboschanischen Rechnungsprüferkollegen sind einfach nur müde. Das Neujahrsfest der Khmer-Nation kündigt sich mit vielfältiger Feierei an, und nur ein ahnungsloser ausländischer Berater wie ich kann so vermessen sein, in der 2. Aprilwoche effizient und effektiv arbeiten zu wollen.


Als sich am Donnerstagvormittag das Gebäude geleert hat, um sich am späten Nachmittag wieder zu füllen mit lauter Damen in den besten weißen Blusen (viel Spitze, noch mehr Perlenstickerei) und Herren in frisch gebügelten weißen Hemden, bleibt es auch mir nicht verborgen: Eine Feierstunde steht an – und ich bin mal wieder zu bunt angezogen ...


Auf der Tribüne in unserer Aula sitzen vier Mönche auf dem Perserteppich und gucken zwischen Blumenarrangements entrückt-desinteressiert zu uns herab. Zunächst einmal haben sie nichts zu tun, weil die ersten Gebete von einem Laienbruder gesprochen werden, der in ehrfürchtiger Haltung rechts vor ihnen kniet. Da ein Laie eben kein Mönch ist, trägt der freundliche alte Herr ein weißes Hemd. Die orangefarbene Kutte und der pflegeleichte Totalhaarschnitt sind seinen Begleitern vorbehalten, die sich schon bald mittels schnurlosem Mikrofon dem Neujahrsglückwunsch-Singsang anschließen. Aber dies wäre nicht Kambodscha ohne huld- und segensvolle Bewässerung zum Schluss: Mit einem Palmenwedel und mehr oder weniger wohldosiert besprüht uns der älteste Mönch mit dem nicht immer willkommenen Nass aus einer Bronzeschale (Wimperntusche – aufgepasst!), während die anderen Mönche Jasminknospen auf uns herabregnen lassen, auf dass es ein gutes Khmer-Jahr werde. So kann ich in Kambodscha zum dritten Mal gut vorbereitet in ein neues Jahr rutschen. Allerdings muss ich zum punktgenauen Rutschen noch bis Sonnabend (14. April, 12.48 Uhr) warten.


Der exakte Beginn des Khmer-Jahres lässt sich astronomisch berechnen und findet regelmäßig um den 13. April herum statt, wenn die Sonne in das Sternbild des Widders eintritt (genauer: wenn Erde, Sonne und der Stern Chitra in diesem Sternbild auf einer Linie stehen – habe ich gelesen, denn meinen Khmer-Bekannten fehlt dafür die Neugier). Für die Khmer ist das der Zeitpunkt, in dem ein neuer Gott die Herrschaft übernimmt und damit ein neuer Zeitabschnitt, also ein neues Jahr, beginnt. Wie das funktioniert, habe ich auch recherchiert und werde es an anderer Stelle erzählen. Jedenfalls zeigt sich wieder einmal die wunderbare Toleranz des Buddhismus, denn seine Mönche haben keinerlei Problem, einer jährlich wechselnden nicht-buddhistischen Gottheit die Segnungen ihres Meisters zu übermitteln. Und die Khmer-Zeitrechnung richtet sich trotzdem nach Buddhas Geburtstag: Wir schreiben heuer das Jahr 2551.


Wie in China macht sich auch hier zum Neujahrsfest die ganze Nation auf die Beine, um in den Heimatdörfern mit den Verwandten die Feierei fortzusetzen, die schon am Arbeitsplatz (siehe oben) ihre Auswirkungen zeigte. Die Preise für Hotels und Taxis steigen kurzfristig heftig an, damit auch jeder etwas von den Festtagen hat, und die meisten Geschäfte machen ein paar Tage zu.


Relativ kurz dagegen wird das sog. Internationale Neujahr gefeiert. Ich bin kaum aus dem Flieger auf den Pochentong Airport geklettert, da ist das Jahr 2006 (eines von meinen ganz spannenden) schon fast beendet. Ich finde mich wieder unter den lichterkettengeschmückten, duftenden Frangipani-Bäumen in einem Gartenrestaurant mit dem passenden Namen „Elsewhere“ („Woanders“), um mich herum Menschen in leichter Sommerkleidung, und jemand zählt die letzten Sekunden des 31. Dezember. Es weht eine leichte Brise, über mir breitet der Himmel seine Sterne aus – und dann beginnt der 1. Januar 2007, Neujahr nach dem Gregorianischen Kalender. Diesen Kalender und unsere Zeitrechnung (die wir so gern für die einzige und einzig richtige halten) verdanken wir einem Dekret von Papst Gregor XIII vom 24. Februar 1582, der die zeitliche Konfusion um das Osterfest beenden will und außerdem präzise wie ein guter Gynäkologe – wenn auch mit dem großen Vorteil der Nachträglichkeit - den Geburtstag von Jesus, dem Christus, festsetzt. Im „Elsewhere“ ist mir noch nicht klar, dass mich sehr bald Kalender und Jahresanfänge heftig interessieren werden: In Kambodscha kann man einfach den vielen Neujahrsgelegenheiten nicht entgehen.


Als an den Geschäften der vielen Sino-Khmer und bei den China-Restaurants die Hundebilder gegen Schweinchenposter ausgetauscht werden und offene Lastwagen mit fröhlichen Jungs in Löwentanz-Kostümen durch die Stadt fahren, weiss ich: Gleich ist der 18. Februar und damit Frühlingsfest-Chinesisch-Neujahr. Den Kalender verdanken die Chinesen ihrem legendären Gelben Kaiser, der ihn in seinem 61. Regierungsjahr einführte, was nach unserer Zeitrechnung im Jahr 2637 v. Chr. stattfand. Wie man auf dieses Datum gekommen ist - da sich doch die Existenz eines legendären Kaisers so gut wie gar nicht verbürgen lässt, weder überhaupt noch historisch annähernd exakt -, weiß ich nun auch nicht. Jedenfalls behaupten die Chinesen ganz einfach, dass sie dem Gebot des Kaisers folgend ihr Neujahrsfest als Beginn des Frühlings am 1. Tag des Frühlingsneumondes zu feiern haben. Für eine kontinuierliche Jahreszählung hat das nicht gereicht, weil mit dem Regierungsantritt eines jeden neuen Kaisers das Jahr 1 begann. Erst nach dem Abdanken von Pu Yi übernahm China 1912 in Ermangelung eines neuen Kaisers die gregorianische Jahreszählung.


Dafür ist der Buddha höchstpersönlich zuständig für die Reihenfolge der tierischen Regentschaft über das chinesische Jahr. Die Erklärung geht wie folgt: Als er sein Ende nahen fühlte, lud er die Tiere ein, von ihm Abschied zu nehmen. Nur zwölf nahmen das Angebot wahr. In Anerkennung dafür benannte der Buddha die Jahre nach den Tieren in der Reihenfolge ihres Erscheinens: Ratte, Rind, Tiger, Hase, Drachen, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund, Schwein. Und 2007 soll nun schweinisch gut werden: Das Schwein gilt als das von allen glücklichste Viech. Dass es auch über den Khmer-Kalender regiert (mit einer gewissen Unschärfe zwischen den beiden unterschiedlich gelagerten Neujahrsfesten – denn da war noch Khmer-Hundejahr, als längst schon Chinesen-Schweinejahr begonnen hatte), ist eine von den vielen wundersamen China-Einflüssen im Land der Khmer.


Wenn der Wind es will und der Mopedlärm es nicht verunmöglicht, höre ich von meiner Wohnung aus den Muezzin. Doch wo ist sein Arbeitsplatz? Bei einem Spaziergang zum Boeng Kak-See, der gerade viel in der Zeitung steht, weil er zugeschüttet werden soll und die Stadtverwaltung in Verdacht steht, sich mit einer undurchsichtigen Immobilienfirma zu noch undurchsichtigeren Bauspekulationen verbandelt zu haben, treffe ich auf eine Moschee mit riesiger goldener Kuppel. Die muslimische Gemeinde bekam das Land 1969 von König Sihanouk und baute darauf ihre „International Dubai Mosque“. Von den ca. 14 Millionen Kambodschanern gehören etwas über eine halbe Million der ethnischen Minderheit der Cham an, die keine Buddhisten, sondern Muslime sind. Und auch sie feiern Neujahr.


Im 6. Jahrhundert (unserer Zeitrechnung) entdeckt ein junger Mann aus Mekka, dass es gar nicht viele arabische Götter, sondern nur einen, Allah, gibt und dass er sein Prophet ist. Das ist der Klerikerkaste seiner Heimatstadt nicht geheuer, und so flieht Mohammed schließlich mit seinen Anhängern nach Medina, um ihren Anfeindungen zu entgehen. Wir nennen dieses Datum den 16. Juli 622 n. Chr. Für die Muslime beginnt mit dieser Flucht, als „Hijra“ (latinisiert „Hegira“) bezeichnet, der islamische Kalender, der sich mit „A.H.“ (für „Anno Hegirae“) von unserem „A.D.“ („Anno Domini“) unterscheidet. Da ich nicht aufgepasst habe auf den islamischen Kalender – bei all den anderen Jahresanfängen -, werde ich mir den 10. Januar 2008 vormerken: Das ist der 1. Muharram 1429 A.H. und das muslimische Neujahrsfest. Wer will nicht schon gern viermal Neujahr feiern – innerhalb von vier Monaten!


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 23. April 2007.


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