Der Tag, als der Regen kam

Juni 2007.


Der Tag, als der Regen kam.
Überlegungen zur Wiederholung von Ewig-Gleichem.





Der Regen in den Tropen – ich muss vom Regen in den Tropen erzählen wie alle Westler vor mir, die plötzlich überrascht sind von den schwarzen Wolken, den Blitzen, dem Donner, den Wassermassen – das Weltende scheint nahe. Die Einheimischen bleiben gelassen, aber ich, die ich diese Breitengrade nur kurzfristig mein Zuhause nenne, ich zittere. Der Himmel so dräuend, die Blitze wie Lichtschwerter, der Donner wie im veritablen Theater, dann der unendlich schwere Regen, der wie ein Vorhang von den Wolken herabzuhängen scheint, der alles zu erschlagen, dann zu ertränken droht und der doch so sehnlichst-sehnlichst erwartet wird, von einer agrarischen Gesellschaft, die das Wissen um die Irrigationssysteme ihrer Vorfahren vergessen hat. Die Kinder zeigen dem Wasser ihre nackten Bäuche und quietschen voll Begeisterung.


Es ist Freitagabend, und ich stehe mit meinem Kollegen Reaksmey auf dem Balkon neben unserem Büro und schaue. Was als Gewitterregen begann, hat sich zu flächendeckender Überschwemmung von Straße, Bürgersteig und Parkplatz eingerichtet – die einen genießen das als kostenloses Schauspiel, die anderen kurven auf kleinen Mofas durch ihr amphibisches Vergnügen, die dritten knurren über die gewohnte Unannehmlichkeit. Was ist da eigentlich passiert? Ach, bloß das Übliche. Reaksmey lacht über meinen sorgenvollen Blick. Nein, nein, kein Grund zur Beunruhigung, in ein bis zwei Stunden ist der Wasserstand wieder auf NormalNull. Die Straßen stehen hier bei jedem heftigeren Regenguss in Sekundenschnelle unter Wasser, gleichbleibend seit Jahrzehnten. Es gehört zum Regenzeit-Alltag, dass die Schuhe nass werden (warum tragt ihr keine Plastiklatschen!), dass der Hof sich übergangsweise in einen Swimmingpool verwandelt (die Wäsche trocknet ja bei der hohen Luftfeuchtigkeit heute sowieso nicht mehr, egal wo sie hängt!) und dass es in der Küche oder in der guten Stube durchregnet (der Eimer, der seit Jahren an derselben Stelle steht, verhindert doch das Schlimmste!).


Die Stadtverwaltung von Phnom Penh ließ im Jahr 1994 mit französischer Hilfe eine Untersuchung anstellen, "Étude diagnostique du réseau d'assainissement de la ville de Phnom Penh" (Studie zur Sanierung der Kanalisation der Stadt Phnom Penh). Fotos zeigen die Stadt nach einem Sturm am 18. Mai 1994 unter Wasser. Bildunterschrift: "An vielen Stellen sind die Straßen bis zu einem Meter Höhe überflutet. Das Wasser kann wegen der mangelhaft unterhaltenen Kanalisation nicht abfließen. Das Leben geht weiter." Andere Aufnahmen zeigen die verstopften Gullies, die zugemüllten Abwasserrohre (in den großen Sammlern könnte normalerweise ein Mensch aufrecht stehen, wenn auch sicherlich ungern, was jetzt wegen des Gerümpels sowieso nicht funktioniert) und die offenen Kanäle (zwei davon ziehen sich durch die Innenstadt und sind im Umkreis von drei Querstraßen dem Gesottenen und Gebratenen, das nebenan bereitet wird, eindeutig geruchlich überlegen). Die Studie endet mit einer detaillierten Aufzählung der erforderlichen Bauarbeiten und später nötigen Unterhaltungsleistungen, für die der französische Staat eine Summe von sechs Millionen Francs bereitstellt. Ich blicke an einem Freitagabend im Jahr 2007 auf das Ergebnis von Bau und Unterhalt der phnompenhoisen Entwässerungssysteme: Nach einer Stunde meines Betrachtens hat sich am Wasserstand (cirka 30 Zentimeter über Straßenniveau) kaum etwas geändert, dafür scheint sich der Verkehr verdoppelt zu haben – offenbar ist unsere Straße die am besten passierbare ...


Reaksmey und ich sind nicht die einzigen, die gucken: Als ich schließlich mit den Schuhen in der Hand und hochgekrempelten Hosenbeinen einen mutigen Schritt in die braune Brühe vor dem Rechnungshofgebäude wage, werde ich dabei von zehn Kollegen vom Eingang aus beobachtet. Die wären normalerweise schon lange ins Wochenende entflohen, aber jetzt kommen sie nicht an ihre Autos: Zum Wassertreten haben sie keine Lust. Sophan erklärt mir zum Abschied, dass es wohl noch zwei Stunden dauern werde, bis er heimfahren könne. Ich staune: zwei Stunden ... und alle betrachten sie die Wasserstrudel und hören, wie es gurgelt. Einfach so. Keiner liest Zeitung, keiner kehrt zurück ins Büro, da warten sie - wie immer. Die Regenzeit hat begonnen.


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 19. Juni 2007.


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