Der Gott der Betonformteile

März 2008.


Der Gott der Betonformteile.
Ein Ausflug in Kambodschas Sakral-Bauindustrie.





Es muss einen geben – und der ist mit Sicherheit Kambodschaner: der Schutzgott der Betonindustrie. Da ich seiner offenbar als erste gewahr geworden bin, darf ich ihm auch einen Namen geben. Das ist schlieβlich das Verdienst eines jeden Entdeckers. Ich nenne ihn also: Preah Beton. “Preah” ist ein schönes Khmer-Wort und bedeutet soviel wie heilig oder göttlich. Die Eigenschaft der Heilig-Göttlichkeit fängt bereits bei der königlichen Familie an und hört beim Buddha auf, dem Preah Bodh. Der Premierminister, der schon andere Ehren-Titel trägt, wird von diesem zur Zeit noch ausgeschlossen. Das kann sich schon bald ändern. Im Juli wird gewählt. Geht alles erwartungsgemäβ vonstatten, dann werden die Regierenden fester als jetzt im Sattel sitzen, und wer weiβ, was dann noch heilig bleibt und bald schon göttlich wird. Preah Beton derweil wacht über die Zementierung des Landes.


Täglich finde ich neue Spuren seines vielfältigen Wirkens. Sein Einsatzort: überall im Königreich. Sein Spezialgebiet: Formteile. Sein Lieblingsprodukt: Buddha-Statuen und ähnlich Sakrales. Sein bevorzugtes Protektorat: Tempel-Neubauten und Tempel-Renovierungen (Innenräume und Auβenflächen). Obwohl auch Profanbauten sich gern unter seinen Fittichen scharen, werde ich diesen Aspekt für heute auβer Acht lassen müssen. Er erfordert spezielle Untersuchungen und soll ein anderes Mal behandelt werden. Eine hochinteressante Baustelle habe ich mir dazu schon ausgeguckt, an der Phnom Penhs erster Wolkenkratzer entsteht, geplant mit bescheidenen 42 Stockwerken. Für diesen “Gold Tower 42” lautet der Spruch aus der Werbung (wiedergegeben im Original-Englisch): “The world class skyscraper of residence!” Doch bei über 3.300 bereits fertiggestellten und unzähligen in Bau befindlichen Pagoden erübrigt sich eine Erweiterung meines Untersuchungsobjektes ohnehin.


In einem Land ohne Kirchensteuer, mit vielen gläubigen armen und wenigen sehr reichen Menschen steht das Mäzenatentum für Tempel und Klöster hoch im Kurs. Jeder spendenfreudige Buddhist und jede spendenfreudige Buddhistin interessiert sich ganz nebenbei fürs eigene Beste: So vergröβern sich die Chancen, im nächsten Leben als höhere Lebensform, vielleicht als Säugetier, ja gar als Mensch wiedergeboren zu werden. Ich selbst war im letzten Jahr Augenzeugin einer Sammelaktion für einen Wat und staunte nicht schlecht, als die vielen Scheine ausgezählt waren und die immense Summe von 40.000 US$ (in Worten: vierzigtausend US-Dollar) ergaben. Und all dies Geld, zumindest der gröβte Teil davon, fand seinen Weg in die Betonmischmaschine der Mönche! Der Rohbau einer groβen Halle thront inzwischen über der Tempelanlage.


Ich danke der deutschen Zement- und Betonindustrie für die simple Erklärung, warum Beton sich in Kambodscha so großer Beliebtheit erfreut: “Das Grundrezept für Beton ist einfach, und was man für ihn braucht, das liefert die Natur: Zement aus Kalkstein und Ton und als so genannte Gesteinskörnung Sand und Kies und schließlich Wasser. Der Zement spielt dabei die entscheidende Rolle, denn er bildet zusammen mit dem Wasser den Zementleim, der die Gesteinskörnung verbindet und dadurch erst ein hartes Gestein entstehen lässt.” Die Altvorderen der Khmer leerten ihre Steinbrüche schon vor achthundert bis tausend Jahren für Hindugötter- und Buddha-Behausungen, schufen damit das beeindruckende Weltkulturerbe von Angkor und initiierten zugleich eine bis heute andauernde Nachfrage für Kunststein. Denn das einst waldreiche Kambodscha wandelte seine schönsten und größten Bäume längst in revolutionäre AK-47, in nachrevolutionäre japanische Autos und in neuzeitige koreanische Elektrogeräte um, was auch den klassischen Baustoff Holz hat rar werden lassen. Nun bieten sich heimischer Kalk, Ton, Sand und Kies zur Ausbeute an, und zu ihrer Gewinnung verschwinden bereits überall im Königreich die kleinen Berge: Sie werden einfach abgebaggert und zu Beton verarbeitet, damit bald jedes Dorf seinen eigenen Wat besitzt, vielleicht auch zwei oder mehr, je nach Spendenfreudigkeit. Ich bin kürzlich von Phnom Penh nach Battambang gefahren und konnte es rechts und links der Nationalstraße 5 gut beobachten: Ein Tempel-Eingangsbogen (aus Betonformteilen) folgt dicht auf den anderen; die kleinen, ringsum verstreuten Hügelchen, längst schon entwaldet, sind zur Hälfte abgetragen und werden sich bald dem Land der Reisfelder angleichen, das sich platt und überschaubar bis zum Horizont erstreckt, von nur wenigen Königspalmen überragt.


Nun will ich keineswegs einem betonsparenden Atheismus zum Munde reden: Das buddhistische Kambodscha erfährt durch seine Pagoden eine unschätzbare Bereicherung, weil diese nicht nur der Besinnung und der Buddha-Verehrung dienen, sondern auch Zufluchtstätten für Mittellose, Alte und Kranke sind, Gemeinschaftszentren für die Dorfbevölkerung, Bildungsstätten für Kinder und Wissbegierige. Doch wenn ich all diese Bauaktivität sehe, dann zweifle ich die Maxime an: Beton unter allen Umständen! Beton unter allen Umständen? Und so viel davon? Auch wenn einfacher, kostengünstiger, haltbarer oder schlicht ästhetisch ansprechender produziert werden könnte? Es wird fast ohne Ausnahme alles aus Beton gemacht, möglichst gern als praktisches Formteil: die Tempelmauereinfassung und die Dekorationsteile auf der Mauerkrone, die karyatidengleichen Figürchen, die an den Hallenwänden hängen und die Dächer mit dünnen Ärmchen zu stützen suchen, die Schmuckbänder der Stupas. Dabei werden die Muster der Altvorderen aus Angkor eingehalten, denn hier lebt in allem die Wiederholung des ewig Gleichen, gern auch simplifiziert: So sind alle Tempel-Anlagen mit identisch aussehende Nagas (Wasserdrachen) verziert, und die Buddha-Statuen scheinen geklont. Unbeschränkt Phantasievolles ist nur bei Ausflügen in den Nicht-Khmer-Mythenraum erlaubt, z.B. bei der Fabrikation von Meerjungfrauen (!), griechischen (!) Athleten und chinesischen Fabeltieren (!), die – aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen – Eingang in den Tempel-Skulpturengarten gefunden haben. Qualitätsansprüche ans Material zu stellen, wäre allerdings verwerflich. Die deutschen Normen erfordern schlieβlich ein ernsthaftes Ingenieurstudium, dafür ist es hier viel zu heiβ. So lugen nach wenigen Jahren in kambodschanischer Tropensonne und Monsunregen die Drahtkonstruktionen aus zerbröselnden Artefakten, deren Entstehungsjahr und Stifter fein säuberlich an sichtbarer Stelle (für die Nächstleben-Statistik) vermerkt sind; die Oberflächen platzen auf, und Wehmut stellt sich bei der Betrachtung ein ob dieser längst verblühten Schönheit. Allein, es wird neu produziert, neue Spender sind zur Stelle, und neues Beton wird neben altes Beton gestellt, auf dass einem möglichen Horror vacui schnellstmöglich vorgebeugt sei.


Ich wiederhole mich: Ich habe an sich nichts gegen Beton. Es ist alles eine Frage der Menge. Die deutsche Zement- und Betonindustrie lobt ihn als “Baustoff des 20. Jahrhunderts”, der “beeindruckende Ingenieurleistungen vom höchsten Gebäude der Welt über gigantische Staudämme bis hin zu Brücken von früher unvorstellbaren Spannweiten” ermöglicht habe und ein “Werkstoff weltberühmter Architekten” sei, die damit “Aufsehen erregende Bauwerke” geschaffen hätten. Und schlieβlich erfreue Beton ja “auch im Kleinen” – “sei es als Gestaltungselement für den Garten, als Kunstobjekt oder Heizkörper”. Nun, mit Heizkörpern zumindest hat man es hier nicht so. Doch wenn die deutsche Zement- und Betonindustrie vorausschauend urteilt: “Die Chancen, dass Beton auch der Baustoff des 21. Jahrhunderts wird, stehen gut”, so kann ich nur zustimmen. Kambodschas Sakral-Architektur spricht für sich: kein Zweifel, Preah Beton ist der erfolgreichste Schutzheilige dieses Landes.


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 8. April 2008.


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