Die Hochzeit im ehemaligen Gefängnis

Dezember 2007


Die Hochzeit im ehemaligen Gefängnis.
Paillettenbustiers, Whiskey im Wasserglas und Kaugummi in Goldpapier.





O je – das ist hier also der Dezember, denke ich. Die KÜHLE Jahreszeit. Und warum steigt das Thermometer wieder auf über 30 Grad??? Es gibt inzwischen Weihnachtsmänner in Phnom Penh (aufblasbar wie Gummitiere fürs Schwimmbad und riesengroß), und in manchen Läden laufen die Verkäuferinnen kichernd mit roten Bommelmützen herum. Den Weihnachtsmann halten sie für den Christengott, und eigentlich ist ihnen (naturgemäβ) unter der Kopfbedeckung viel zu heiß. Ich fühle mich für weihnachtliche Lieder auch zu verschwitzt, obwohl ich tatsächlich mit Kollegen und ihren Familien eine Mekong-Fahrt unter Absingen von "Stille Nacht" und "Morgen, Kinder, wird's was geben" absolviere, ganz zünftig mit selbstgebackenen Plätzchen und Glühwein (jawohl! mit GLÜHwein!). Trotzdem wird mir dieser Dezember nicht deshalb in besonderer Erinnerung bleiben, sondern weil ich zum erstenmal zu einer Hochzeit eingeladen war, bei der die Braut und ihr Gefolge funkelten und glitzerten wie der schönste Baumschmuck bei uns am 24. Dezember. Es war ein Ereignis!


Ich habe zwar keine Erfahrung mit dem Ausrichten der eigenen Hochzeitsfeierlichkeit, aber ich weiβ jetzt definitiv: So einen Herdenauftrieb, wie ich ihn in Phnom Penh erlebt habe, könnte ich als Braut weder kräfte- noch portemonnaiemäßig ertragen. Schon als geladener Gast und nur zum Sitzen und Essen verdonnert, bringt mich die Veranstaltung an den Rand meiner physischen und psychischen Möglichkeiten. Ich werde versuchen, mich in geordneter Folge zu erklären.


Es fängt alles harmlos mit einem zartgelben Umschlag an. Der ist wunderschön in goldener Nudelschrift – man erinnere sich – verziert und führt dann korrekt und mittig, in langweiligen lateinischen Lettern, meinen vollen Vor- und Zunamen auf. Kollege Sothear strahlt mich bei der Übergabe an: "Ich heirate!" Ich kann nicht sagen, ich wäre nicht gewarnt worden – ich habe eine vage Vorstellung davon, was es heißt, in Kambodscha am Ritual einer Hochzeitsfeierlichkeit teilzunehmen. Schließlich stolpert man jetzt alle Nase lang auf dem Bürgersteig über abgesperrte Gebiete: Unter rot-gelben Markisen stehen Tische dichtgedrängt, hier speist das Hochzeitsvolk, das ohne Sondergenehmigung, gern auch tagelang, öffentliches Straßenland bevölkert. Aber meine Einladung zum abendlichen Empfang führt mich in eine besondere Lokalität.


Zum Glück habe ich den Kollegen Reaksmey, der mir die hiesige Welt erklärt und sich damit bei mir eine Goldmedaille als Held der Khmer-Kulturvermittlung verdient hat. Die Einladung ist für den Nachmittag ausgesprochen, da können wir also gleich vom Büro aus hinfahren. Ich packe des Morgens den langen Rock in die Plastiktüte und ziehe mich zu gegebener Zeit auf dem Rechnungshof-Klo um. Während der Gentleman eine kambodschanische Hochzeit auch im Polohemd durchleben darf (nur als Gast, wohlgemerkt – nicht als Bräutigam), wird von dem weiblichen Pendant eine Transformation erwartet, die ich – wie ich bald feststellen werde – nur bedingt erfolgreich absolviert habe. Soviel Beperltes – soviel Vergoldetes – soviel Gerüsche und Geraschel! Zunächst aber gilt es für mich, die Fahrt vom Rechnungshof zum Tatort Hochzeitsrestaurant unbeschadet zu überstehen. Schon bald sitze ich wie Kriemhild auf ihrem Zelter, d.h. im Damensitz auf Reaksmeys Moped. Plötzlich verstehe ich, warum ich so häufig einen einzelnen Damenschuh auf der Straße finde: Mädels, setzt euch doch einfach mal seitlich auf ein Moped und versucht, keinen eurer Latschen zu verlieren. Bedingung dabei ist natürlich, dass ihr nur einen Fuß abstellt. Genau: Eine hohe Erfolgsquote beim Vorweisen der vollständigen Fußbekleidung ist nur bei Erfahrung auf dem Rücken eines Zirkuspferdes garantiert. Die fehlt mir zwar, doch hole ich mir einen leichten Krampf im Spann und keinen Aschenputtel-haften Verlust.


"Weißt du eigentlich, wo wir sind?" fragt mich Reaksmey, als ich, ein wenig steif, von meinem Sitz hinabgleite. Nun ja – dieses Restaurant ist ziemlich riesig, und ich habe keine Ahnung: Im Gegensatz zu mir weiβ jede/r in Phnom Penh, dass das hier einmal ein Knast war. Wie so vieles staatliche Eigentum der prosperierenden Hauptstadt ist auch dieses in private Hände überführt worden. Und so bin ich denn auf meiner ersten Hochzeit ... im Knast. (Nomen est omen?)


Figuren wie aus dem „Indischen Grabmal“ von Fritz Lang, sprich: wie aus dem Film, stehen als Begrüβungskomitee am Eingang, rechts der Bräutigam und seine Mannen, links die Braut und ihre Jungfern. Während ich Sothear trotz seiner goldverbrämten Uniformjacke noch erkenne, wird mir das beim nächsten Treffen mit der Braut nicht gelingen, wenn sie nämlich wieder wie ein Mensch aussieht. Jetzt trägt sie unter einer strassverzierten Tiara eine Langhaar-Lockenperücke und ist bis zur Unkenntlichkeit geschminkt. Wie man beim Film sagt: Sie war „in der Maske“, eine Khmer-Kleopatra mit falschen Wimpern, weiβ gepudert und rot bewangt. Ihre glänzende Kostümierung ist der Kleidung der Apsara-Schwebeengel aus Angkor nachempfunden – und drei Wechsel der Brokatgewänder werde ich in den knapp drei Stunden meiner Anwesenheit miterleben dürfen.


Am Spalier des Brautpaares und seiner Entourage vorbei werden wir ins Innere des Restaurants an einen runden Tisch geführt – und da Reaksmey und ich hier Gast Nr. 9 und Gast Nr. 10 sind (und jeder Tisch für zehn gedeckt ist), kommen sofort die Speisen. Wir essen Köstliches. Mehr können wir auch unmöglich machen, denn bis zum Geräuschebrei verzerrt, dafür aber herzzerreiβend laut dröhnt uns über eine Riesenlautsprecheranlage die Live-Musik ins Ohr. Die acht Herren an unserem Tisch lassen sich davon nicht verdrieβen – sie genieβen: Auf dem Tisch steht eine bald schon halb leere Flasche Whiskey. Auf russische Art füllen die Herren ihre Wassergläser und werden bald so laut wie die Musik. Sehr hübsche junge Damen schweben von Tisch zu Tisch und verteilen in Goldpapier eingewickelte Päckchen. Nach neugierigem Auswickeln bin ich doch etwas enttäuscht: Es ist Wrigley’s Spearmint, der Klasssiker in Grün-Weiβ.


Nach etlicher Zeit legt sich Erschöpfung nicht nur auf meine Ohren. Daher bin ich froh, als mein Begleiter zu anderen Verpflichtungen aufbricht und mir eine Heimfahrt auf dem Moped anbietet. Was mir folglich in den kommenden Stunden entgehen wird: die zweite Live-Band, noch mindestens drei Umkleidungen der Braut und eine des Bräutigams, der Anblick verschiedener Volltrunkener (sicher sind bald acht davon an unserem Tisch), ein Kreistanz in Zeitlupe, „Ramvong“ genannt, bei dem die Paare ihre Hände in Blumenbinderinnen-Gesten umeinander winden, und andere Lustbarkeiten.
Beim Gehen wird gezahlt. Nein, nein, nicht beim Ober für das Essen: Hier beglückt man das Hochzeitspaar (und die zahlenden Eltern) mit Geldgeschenken. Dazu muss man seinen Namen auf den Umschlag schreiben und kann sicher sein, dass Buch geführt wird: Nur das, was ich Sothear jetzt in das Kuvert gelegt habe, kann ich von ihm als Geschenk bei meiner Hochzeit zurückerwarten. Ob allerdings die Summe aller Umschlaginhalte zur Refinanzierung dieser Veranstaltung reicht, wage ich zu bezweifeln. Heiraten in Phnom Penh ist mehr oder weniger teuer, hier die Durchschnittspreise:


- Miete für Kleidung von Bräutigam/Braut (pro Nase) inklusive Make-up und Garderobiere, je nach Anzahl der Kleidungswechsel (drei- bis siebenmal) – US$ 250-750
- Bild-/Tonaufzeichnung – US$ 150 (VCD), US$ 180 (DVD), US$ 0,40 pro Foto
- Live-Band – US$ 170 – 250
- Dekoration (Blumen u.ä.) – US$ 60-180
- Miete pro Tisch (8-10 Stühle) – US$ 10-16
- Essen (pro Tisch) – US$ 60-150
- Getränke (ohne Alkohol, pro Tisch) – US$ 15
- zusätzliche Miete für das gesamte Restaurant und seine Infrastruktur (d.h. inklusive der Umkleideräume für die Brautleute) – US$ 150-380.


Man rechne mal zusammen! Kann es sein, dass ich 50 Tische gezählt habe? Beim Gehen fällt mir auf, dass das Restaurant eine Terrasse hat – und auch dort wird lustig-laut gefeiert - und es gibt offenbar drauβen so viele Tische wie drinnen!


Und was macht so ein Brautpaar, wenn der Abend und das rauschende Fest vorüber sind? Meine Sprachlehrerin Kamrang klärt mich auf: Das junge Paar wird für die erste Zeit seiner Ehe bei den Eltern der Ehefrau wohnen. Warum das? Na, der elterliche Rat – so sagt sie – wird doch gebraucht, die jungen Leute haben doch KEINE Ahnung vom gemeinsamen Eheleben!


Heute, Kinder, wird’s was geben – heute werden wir uns freu’n – welch ein Trubel, welch ein Leben wird in uns’rer Bude sein ... Was dem einen seine Weihnacht ist, das ist dem anderen seine Hochzeit. Auf dass es ein Leben lang halten möge!


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 25. Dezember 2007.


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