Amok und Nudelschrift

August 2007


Amok und Nudelschrift.
Essbares und Schriftliches.





Heute will ich von Amok berichten. Dabei ist Amok natürlich nicht gleich Amok, und im Übrigen hat mein Amok rein gar nichts mit dem Amok vom gleichnamigen Lauf zu tun. Den letzteren Begriff verdanken wir den Malaysiern, die mit "mengamuk" unkontrollierbare Wut bezeichnen. Ich dagegen bin ganz friedlich und denke einfach nur ans Essen und eine leckere Speise, deren Name "Amok" ausgesprochen wird.


Da mein Computer unwillig ist, "Amok" in der hiesigen wunderschönen Khmer-Schrift wiederzugeben, muss ich mich einer Umschrift befleissigen. Es gibt keine generell verbindliche. So haben Franzosen, Engländer und inzwischen auch Deutsche, ihrer eigenen Aussprache von lateinischen Buchstaben folgend, Aussprachehilfen für Khmer entwickelt, die ich zum Verständnis extra erlernen müsste. Denn so sehr französisch, englisch oder deutsch die auch sein mögen - mit der eigentlichen Sprache (Khmer) haben sie wenig zu tun. Da mir das Erlernen angesichts meiner beschränkten Aufenthaltsdauer in diesem Lande blödsinnig erscheint, halte ich mich lieber ans Original.


Eine schöne Schrift für ihre schwierige Sprache mit den wunderlichen Lauten haben die Khmer, ehrlich, aber in meinem Lehrbuch der 1. Klasse für kambodschanische Grundschüler habe ich mich seit Wochen auf den Seiten 1 und 2 verbarrikadiert. Dort werde ich zum Erlernen der Vokale (Seite 1) und der Konsonanten (Seite 2) des Khmer-ABC angehalten. Ich will das Schreiben erlernen, weil ich dann erfolgversprechend ein Wörterbuch konsultieren kann und irgendwann auch etwas zu sagen haben werde. Irgendwann. Meine Lehrerin ist mit einem vierjährigen Sohn gesegnet, den demnächst mit meinem Lehrbuch zu unterrichten sicherlich erfolgversprechender ist als die wöchentlichen Sitzungen mit mir. Doch noch gebe ich nicht auf. Ich nenne meine Herausforderung "Nudelschrift", weil sie mich an die Birkel-Teigwarenkreationen meiner Kindheit erinnert, an Spirali, Trulli & Co. Und sie gefällt mir, was die Beschäftigung mit ihr erleichtert, wenn auch nicht vereinfacht, etwas jedenfalls.


Wie soll ich nur die so hübsch gekringelten 23 Vokale auseinander halten, die sehr dekorativ, wenn auch nach strengen Regeln um die 33 Konsonanten drapiert werden. Manche stehen links, manche rechts, manche oben, manche zum Teil links und rechts (auch wenn sie einen Vokal und nicht zwei darstellen), manche zum Teil über dem Konsonanten und auch darunter, manche nur darunter. Ich teilte sie zunächst zum Auseinanderhalten (was mit der Aussprache nicht zusammenhängt) in zwei Hauptformen ein, die eher länglichen und die eher kullerigen. Gebracht hat mir die Einteilung nichts außer der Erkenntnis, dass Lernen mit Mühe und der Investition von viel Zeit verbunden ist und dass ich das alles allein und höchstpersönlich vollbringen muss. Aber ich habe mein Auge geschult und erfreue mich kindlich, wenn ich erkenne, dass der Doppelpunkt, der sich da an dem Friseurreklameschild über der Lockenpracht der Modellschönheit manifestiert, kein Doppelpunkt, sondern ein rechts stehender Vokal mit dem Lautwert "ass" ist. (Ja ja – ein Khmer-Vokal eben, da werden auch manchmal Laute angehängt, die wir als Konsonanten kennen.) Na bitte! Lesen kann ich das Wort damit jedoch noch nicht. Und völlig bedeutungslos ist es mir auch noch. Aber gelobet sei der Anfang.


Die Konsonanten lassen sich auch nicht lumpen. Wenn zwei aufeinander folgen, wird der zweite optisch verändert (er erhält eine kleinere und einfachere Figur, meistens jedenfalls) und unter den ersten Konsonanten als sogenannter "Fuß" gesetzt. Leider gibt es auch links stehende Füße, die ich gern mit Vokalen verwechsele. Die Tandemkonstellation der Konsonanten zu kennen, ist überaus hilfreich bei der Entzifferung von ganzen Sätzen – denn zwischen seine Wörter setzt der Kambodschaner keine Abstände, wasichjaauchschonbeichinesischenTextenübenkonnte, so dass alle Buchstaben – denn hier haben wir es mit einer Art Alphabet und keiner Silbenschrift zu tun – munter hintereinander aneinander geklebt geschrieben werden. Folgen zwei Konsonanten und behalten diese ihre "natürliche", unveränderte Gestalt, dann habe ich es vielleicht mit zwei Wörtern zu tun, oder – auch diese Erkenntnis macht Freude – es wird bei dem ersten Konsonanten der inhärente (nicht schriftlich dargestellte, aber sehr wohl die Ausprache bestimmende) Vokal ausgesprochen. Das mit den inhärenten Vokalen ist auch eine wunderbare Erfindung, die die Anzahl der zu schreibenden Konsonanten verdoppelt bei gleicher Menge an Vokalen, wobei jedoch letztere – je nach Zugehörigkeit der Konsonanten zu einer der beiden Register (das Register definiert die Konsonanten) – verschieden ausgesprochen werden. Habe ich jetzt alle LeserInnen verloren? Oder mögen wohl alle Tüftler und Computerspiel-Überdrüssige Khmer lernen? Es wäre schlicht gelogen, wenn ich sagen würde, das Erlernen dieser Sprache machte richtig Spaβ. Aber es stachelt meinen sportlichen Ergeiz an und lässt mich auch mehr Verständnis empfinden für meine total lesefaulen Rechnungsprüferkollegen. Einige davon "lesen" ihre muttersprachlichen Texte immer artig mit dem Finger unter den Buchstaben im Schneckentempo (lautlos bewegen sie die Lippen und runzeln dazu angestrengt die Stirn) und versichern mir, dass sie freiwillig nie – wirklich NIE - ein Buch anfassen würden. Khmer-Lesen ist eben kein reines Vergnügen.


Nach dieser Abschweifung wende ich mich nun wieder dem Amok zu, was auf Khmer schwer zu schreiben, wenn auch leichter auszusprechen ist – und eine wahre Köstlichkeit benennt! Es handelt sich nämlich um ein Fischgericht, das nicht jeden Tag auf den kambodschanischen Tisch kommt, also etwas für Festtage ist, und das mit etwas gutem Willen von allen, die dies lesen, nachgekocht werden kann. Das Rezept stammt von meiner Khmer-Lehrerin. Leider sind zwei Kräutlein, die zur Geschmacksverbesserung beitragen, in keinem Wörterbuch enthalten; ich habe es daher bei einem kulinarischen Annäherungswert belassen.


Amok für zwei Personen


Man bereite zunächst eine Currypaste zu:
• 2,5 cm einer Galangalwurzel (gibt es in jedem Asia-Laden, der frisches
Gemüse führt – die Wurzel wird oft mit frischem Ingwer verwechselt, sieht
aber dunkler aus)
• 1 Esslöffel fein geschnittenes Zitronengras (auch aus dem Asia-Laden)
• 1 Teelöffel geraspelte Limettenschale (zur Not tut es auch eine frische
Zitronenschale)
• 5 mittelgrosse rote (scharfe) Chilies, aufschneiden, die Samen entfernen,
die Schoten klein schneiden
• 1 Teelöffel Salz
Alle Zutaten in einem Mörser miteinander vermischen und zerstampfen, so dass sich daraus eine Paste formen lässt. Die Paste zur Seite stellen. (Sie hält sich lange im Kühlschrank und ist für viele leckere Currygerichte verwendbar.)


Für das Fischcurry (das ist Amok nämlich) braucht man:
• 1 Esslöffel der gerade hergestellten Currypaste
• ¼ kg frischen Fisch (möglichst Süßwasserfisch, vielleicht eine mittelgroße
Forelle, die ausgenommen ca. 250 g ergibt)
• 1 Esslöffel Fischsauce (aus dem Asia-Laden)
• 1 Teelöffel Zucker
• 1 großes Ei
• 3 Esslöffel Kokosnussmilch (aus der Dose, gibt es auch im Asia-Laden)
• Salz und Pfeffer zum Abschmecken


Man nehme den Fisch aus, filetiere ihn und schneide die Filets in ca. 2,5 cm lange Stückchen. Man gebe die Fischstückchen und die anderen Zutaten in eine mittelgroße Schüssel und knete alles miteinander zu einer Art Teig. Dieser Fischteig kann im Stück – nach Belieben in eine hübsche Form gebracht - am einfachsten in einem Dampfkörbchen aus Span (zum Herstellen von chinesischen Teigtaschen, auch vom Asia-Laden) über Wasserdampf gegart werden. Möglich ist auch das Garen im Wasserbad in einem kleinen Topf. Das geht schnell, je nach Größe des Fischteigs, ca. 10 bis 15 Minuten. Wer hat, darf dazu auch ein Bananenblatt benutzen und das Amok darin auch servieren. Ansonsten kann das fertige Curry auf einem großen Salatblatt angerichtet werden. Dazu gibt es weißen gekochten Reis.


Guten Appetit! "Lecker" heisst auf Khmer übrigens (nach meiner persönlichen Umschrift) "tschnjanj". Bitte nicht zu lange üben, das Essen wird sonst kalt!


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 31. August 2007.


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