Die ganze Stadt auf Rädern

Januar 2008.


Die ganze Stadt auf Rädern.
Alles dreht sich um den fahrbaren Untersatz.





Morgens kann man Fußgänger in Phnom Penh beobachten. Sie sind nicht zu übersehen, denn sie tragen leuchtend orangefarbene Gewänder und - wenn das Wetter es erfordert, d.h. bei Sonnenschein und bei Tropenregen - strahlend gelbe Schirme. Der Anblick ist überall in Südostasien ein großes Vergnügen für die Touristen und harsche Realität für die Betroffenen: Buddhistische Mönche erbetteln sich ihr täglich Brot, also ihre Tagesration Reis. Was immer ihnen gegeben wird, wandert in ihren krugartigen Speisetopf. Den tragen sie am Gurt über der Schulter wie ich meine Handtasche. Sie müssen vor 12 Uhr mittags die letzte Mahlzeit, die für manche die einzige ist, gegessen haben und gehen deshalb zum Frühstückfassen früh aus dem Haus. Nach den strengen Ordensregeln dürften sie dabei nicht einmal Schuhwerk tragen. Doch zum Glück setzen sich die meisten in Phnom Penh darüber hinweg: Gesund kann nämlich ein Barfuß-Spaziergang über diese Gehwege und Fahrdämme nicht sein, die als flächendeckender Mülleimer betrachtet, aber weniger häufig als unsere Abfalltonnen daheim gesäubert werden. Abgesehen von den Mönchen, einigen Schulkindern, Bettlern, verträumten Urlaubern aus wohlhabenden Ländern und mir meidet der durchschnittliche Phnom Penhese den Gehweg, außer er sitzt bereits auf einem Fahrrad oder Moped, vorzugsweise in einem Auto, das gern auch etwas größer sein darf.


Warum der Kambodschaner nicht gern läuft – weder an sich noch spaziergangsmäβig zum Vergnügen - erklärte mir ein Kollege ziemlich plausibel: Zum Laufen ist es einfach viel zu heiβ. Ich kann das aus eigener, verschwitzter Erfahrung nur bestätigen. Aber ich – und da scheiden sich halt die Geister und die Körper – muss dem mir eigenen Bewegungsdrang nachgeben, ob das nun schweiβtreibend ist oder nicht. Die kambodschanische Diabetesgesellschaft stellte kürzlich fest, dass Bewegungsmangel, zuviel Salz und zuviel Alkohol zu einer Zunahme von Bluthochdruck- und Zuckerkranken in Kambodscha führen werden: Mehr als 10 Prozent der Über-20jährigen auf dem Land haben Anzeichen von sich entwickelnder Diabetes.


Eine kleine vergnügte Linkspartei verlor einmal die Berliner Wahlen, die für sie durchaus erfolgreich hätten verlaufen können, weil sie sich auf das Thema "autofreie Stadt!" versteift hatte. In Kambodscha käme niemand auf dieses Wahlmotto, weder in Phnom Penh noch in der Provinz ("autofreie Provinz!" – wie albern das klingt ...), jedenfalls nicht, so lange es überhaupt noch irgendwo Sprit gibt. Auch der Premierminister meinte doch wohl bloß scherzhaft, dass die Staatsdiener mit ihrem staatlichen Benzin sparsamer umgehen müssten. Wie sollte man sich ein von ihm angeregtes "car sharing" vorstellen – ein Minister im selben Vehikel wie eine Kindergärtnerin oder ein Grundschullehrer: Das soll doch wohl ein Witz sein, nicht wahr! Nein, nein, Seine Exzellenz wollte uns sicher alle mal wieder zum Lachen bringen, als er mit Blick auf die gestiegenen Rohölpreise am ersten Januarwochenende zum Sparen anregte.


Nach meinen inzwischen einjährigen Beobachtungen, bei denen ich auf vor langer, langer Zeit Gelerntes zurückgreifen konnte (mein erster Lebensgefährte war schließlich Autoverkäufer – da bekommt sogar jemand so Autotumbes wie ich einen Blick dafür!), hat Phnom Penh weltweit die höchste Dichte an Luxuskarrossen. Erst hier lernte ich, was ein Lexus ist: So heiβt die Edeltochter von Toyota, die sogenannte "Luxury Utility Vehicles" produziert. Hier verkauft sich das jeepartige Modell mit Allradantrieb sehr gern. Die kleine Variante RX ab 37.000 US$, die größere (die man weitaus häufiger sieht) kostet schon 67.000 US$ - vor Steuern und Einfuhrzoll, versteht sich. Aber beide Staatseinnahmen führen in Kambodscha sowieso ein Mickerdasein, weshalb auch viele Autos ohne Kennzeichen herumchauffiert werden. Und erst hier konnte ich einen Blick auf einen Hummer werfen. Letzterer ist in diesem Zusammenhang keine mit Mayonnaise genießbare Edelspeise, sondern das Lieblingsfahrzeug des kalifornischen Gouverneurs Arny Schwarzenegger. Es handelt sich um einen militärisch anmutenden Jeep, dessen Listenpreis sechsstellig ist (in US$, nicht in der Landeswährung Riel).


Doch es wird – so kann ich die Ökologen unter meinen Lesern beruhigen – nicht nur gefahren in Kambodscha. Besonders das Motorrad verkörpert ein beliebtes Sitzmöbel, das über auch Hängematten-Qualität verfügt. Wie schaffen sie bloß, beim Mittagsschlaf nicht abzustürzen, wenn sie sich auf ihren Mopeds ausgetreckt in ihre Träume versenken. Beeindruckend fand ich auch einen Studenten der Royal University of Cambodia auf der Honda mit seiner auf den linken Ellbogen gestützten Lesehaltung, die Beine elegant abgeknickt, die Schlappen sorgsam neben das Gefährt gestellt. Natürlich fand ich auch hinreiβend - abgesehen von der Haltung -, dass da jemand einfach so liest. Ich kann versichern: Es ist wirklich ein Buch, denn ich habe mich von der anderen Seite der Mauer an den Leser herangepirscht und zuerst nicht wahrgenommen, dass er auf seinem fahrbaren Untersatz sitzt. Von der bunten Welt der Motorrad-Taxis und Tuk-Tuk-Fahrer, der Schweinetransportmopeds (vier Ferkel passen da rauf oder zwei ausgewachsene Borstenviecher) und den Familienmopeds (alle sitzen hintereinander, inklusive Baby und Oma) werde ich ein anderes Mal erzählen.


Sehr überraschend und vertraut fand ich eines Abends nach Büroschluss eine Sechserkolonne von Fahrrädern, Marke „Fei Ge“ (Fliegende Taube), Herkunftsland: China, die – tatsächlich! der Klassiker der chinesischen Fahrradproduktion! - anachronistisch und wie selbstverständlich in die Einbahnstraße 51 in verbotener Richtung, doch in geordneter Formation einbog. Da zogen sie an mir vorbei, freundlich grinsende und laut schwatzende Chinesen, unverkennbar, in blauer Arbeitskleidung, einer pfiff vergnügt. Kurzzeitig glaubte ich mich im falschen Land - aber da sind sie schon entschwunden. Und kamen mir so lebendig vor, wie eine kleine verschworene und unerkannt gebliebene Kompagnie auf heimlichem Eroberungsfeldzug. Ob das den steif auf dem Moped und unbeweglich im Auto sitzenden Kambodschanern aufgefallen ist? Achtung, die Chinesen kommen, mit all ihrer Macht auf dem Fahrrad!


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 6. Februar 2008.


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