Drei einfache körperliche Phänomene

April 2008.


Drei einfache körperliche Phänomene.
Ich bin bedingt tropentauglich.





Angeblich gewöhnt der Mensch sich an alles. Ich solle mich mal nicht so anstellen, das mit der Akklimatisierung brauche Zeit, gelinge aber immer: So sagten mir weitaus längerfristig hierlebende Nicht-Kambodschaner. Ich will ja nicht rechthaberisch sein, jedenfalls nicht dauernd: An manches gewöhne ich mich keineswegs. Ob ich will oder nicht, mein Körper macht einfach nicht alle Anpassungsprozesse mit. Das stelle ich im hitzeintensiven Monat April, meinem inzwischen zweiten, zu meiner Selbstbestätigung, mit partieller Zufriedenheit, fest. Na bitte, dahamwirs, habbichjagleich ... und so weiter.


1. Phänomen: Ich verflüssige mich.
Ein ganz normaler Arbeitstag, Mitte April. Ich sitze zur gewohnten Zeit, um 6.30 Uhr, mit meiner Teetasse am Frühstückstisch und gucke mir zu. Auf meinem T-Shirt entsteht ganz von selbst und kreisrund der erste Schweißfleck des Tages. Es fäng mit etwas Kribbeln an (als naturwissenschaftlich versierte Beobachterin greife ich noch nicht ein) und wird dann langsam immer sichtbarer als dunkles Rund auf der Baumwolloberfläche. Natürlich lässt sich das Phänomen auch direkt in seiner Entstehung erleben. Ich setze also die Teetasse ab, hebe das T-Shirt und betrachte meinen Bauch: Es ist wie bei der Geburt einer Quelle. Es tut sich was im Untergrund, es dringt hervor. Das Kribbeln verdichtet sich zu kleinen Perlchen, die sich zunächst an der Epidermis festklammern und schließlich, von der Schwerkraft besiegt, ein zögerliches Rinnsal bilden. Nun muss ich doch aktiv werden: Nichts ist unangenehmer als eine feuchte Unterhose, bevor das Frühstück eingenommen ist. So wische ich mit meinem Schweißtüchlein, meinem wichtigsten Utensil nach der Brille, hier und da, während es inzwischen an anderen Stellen zu ähnlichen Quell-Reaktionen kommt. So tropft es in die Ohren und rinnt mir in den Nacken. Im Monat April braucht mein dünnes Haar Stunden zum Trocknen. Sobald ich mein klimatisiertes Büro erreiche, setzt jedoch der Normalisierungsprozess ein: Eine Totalverflüssigung habe ich zum Glück noch nicht erlebt.


2. Phänomen: Ich bin ein Lebensmittel.
Dass wir Menschen immer denken, wir wären am Ende der Nahrungsmittelkette und uns könnte keiner, ist eine lächerliche Fehleinschätzung. Ich jedenfalls bin ein überaus beliebtes Nahrungsmittel, ein permanent nachwachsender Rohstoff, eine Vor-, Haupt- und Nachspeise für sämtliche Moskitos der Umgebung. Es gibt Abende, da kann ich einfach nicht mehr, außer vor Wut heulen: Ich will nicht mehr angeflogen, bekrabbelt, gepiekst und ausgesaugt werden! Ich will nicht mehr Anti-Mückensprays auf meinen Schienbeinen und Anti-Moskitocreme auf den Armen haben - ich will einfach nur in Ruhe vor mich hinsitzen, gern auch draußen, denn es ist ja eine dieser lauschigen Nächte, wo das Thermometer noch oberhalb der 30 Grad-Marke weilt und nach denen wir uns in der kalten deutschen Heimat so sehnen. Aber hier habe ich keine Ruhe: Die Insektenwelt hat sich bereits das Lätzchen umgebunden und stürzt mit erhobenem Besteck auf mich zu. Seufz. Will ich nicht aufgefressen werden, bleibt mir die Wahl zwischen Autan ("kühlt und erfrischt die Haut") für draußen und Raid ("fast kill everywhere with Lemon Fragrance") für drinnen. Was hätten Sie gewählt ...


3. Phänomen: Ich v e r l a n g s a m e.
Früher hielt ich mich für eine geborene Rennmaus. Treppensteigen war mir unproblematisch, und "ich komme mal geflitzt", war keine Redewendung, sondern meine liebste Fortbewegungsmethode. D e m i s t n i c h t m e h r s o. Bei steigenden Temperaturen fange auch ich an, die Langsamkeit zu entdecken und auf einheimisch z u l a t s c h e n und z u s c h l ü r f e n. Auch wenn es nicht schweißtreibend wäre: Selbst wenn ich wollte, ich könnte mich gar nicht schnell bewegen. Ein natürlicher Selbstschutz setzt ein, der nicht nur die Waden vor der Überhitzung rettet, sondern vor allem das Gehirn. Das Empfangen und Senden von Nachrichten reduziert sich ohne mein bewusstes Zutun auf ein Minimum. Ich verstehe plötzlich, warum meine hiesigen Rechnungsprüferkollegen ab Khmer-Neujahr keine Dreisatzaufgaben mehr lösen können (wenn sie denn überhaupt das Mathematik-Problem an sich erkennen). Das Gehirnkastel wird vor allzu viel Akrobatik geschützt, das Programm schaltet sich jetzt um - auf freundliches Grinsen. Was ich noch sagen wollte ... Wahrscheinlich wollte ich ja nichts sagen. Ich lächele euch einfach freundlich zu, betrachte die Mücke auf meinem Handrücken (was sie da wohl zu suchen hat?) und lasse den Schweißtropfen von der Nase perlen.


Wenn die gelben Blütentrauben der Straßenbäume mein Auge erzücken und die unreifen Mangos des Nachbarn mit Gepolter auf mein Dach fallen, dann tue ich mich schwer mit dem April. Er ist in Kambodscha des Jahres heißester Monat.


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 27. April 2008.


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