Mai-Feste

Mai 2007.


Mai-Feste.
Ich gucke auf den Fluss, der König lässt pflügen, und das Volk feiert seinen Geburtstag.





Im letzten Jahr beging der Verein der Ausländischen Presse in Deutschland festlich seinen 100. Gründungstag. Mehr als 400 Journalisten aus 60 Ländern sind inzwischen Mitglied und prägen das Bild, das man sich in ihrer Heimat von Deutschland macht. Die frisch gewählte Vorsitzende, Rozalia Romaniec, arbeitet für die polnische Redaktion der Deutschen Welle, und die Deutsche Welle kann ich in meinem kleinen Apartment in der „Villa Pasteur“ auch empfangen – als einen der 60 potentiell ins Kabel gespeisten Sender, von denen aber 50 nicht über verschleierte Ansichten und bunte Schrägstriche hinauskommen. Der freundlichen Hausverwalterin trage ich regelmäßig meinen Wunsch nach mehr Medienklarheit vor: Ja, ja, bekomme ich zur Antwort, es werde sich jemand kümmern, schon bald. Dabei würde ich doch nur zu gern noch heute meinen geliebten chinesischen Konkubinen-Intrigen-Lanzenkampf-Gongfu-Serien, die hier gleich auf mehreren Kanälen zu bewundern sind, ohne Sehstörungen folgen wollen ...


Während ich mir diese Gedanken über meine persönliche Medien-Situation mache, genieße ich einen Mai-Feiertag und habe mal wieder frei. Ich sitze auf einem der schönsten Plätzchen in Phnom Penh und schlürfe ein kühles Getränk, wenn auch leider keine Mai-Bowle: Ich bin beim „Foreign Correspondents' Club“ auf der erst kürzlich ausgebauten Dachterrasse und blicke auf den Fluss Tonlé Sap hinab, der noch in Sichtnähe in den Mekong fließt. Wenn ich länger auf das träge dahinziehende braune Wasser gucke, fallen mir all die wunderlichen Geschichten ein, die mir über diesen Ort erzählt worden sind und die so gar nicht stimmen. Zum Beispiel: von wegen Auslandspresse! Der „Foreign Correspondents' Club“ in Phnom Penh ist nämlich keine Journalistenvereinigung, und hier - mit Blick zum Mekong, dem Fluss der Flüsse in Südostasien, der sich von Tibet durch das südchinesische Yunnan über Myanmar, Thailand, Laos und Kambodscha bis in sein vietnamesisches Delta hinabarbeitet - hat sich auch nie eine Gruppe aufgeregter Kriegsberichterstatter getroffen, um über den kambodschanischen Bürgerkrieg oder die Kämpfe in Vietnam zu diskutieren, obwohl man immer daran erinnert wird: Im Treppenhaus hängen Fotos aus der Zeit. Der „Foreign Correspondents' Club“ in Phnom Penh – auch "FCC" oder bloß "F" genannt – ist einfach nur ein Restaurant, das 1993 in einem kolonialen Eckhaus am Sisowath Quai eingerichtet worden ist, mit Luft von vielen Seiten, großen Deckenventilatoren, riesigen Ledersesseln und einer enormen Getränkeauswahl, so dass die Vermutung, hier habe es bei viel Alkohol und dickem Zigarettenqualm hitzige politische Debatten gegeben, nicht völlig abwegig erscheint. Ich als kundige Phnom-Penh-Fußgängerin weiss jedoch, dass das Journalistenvolk in den 60er und 70er Jahren im Hotel "Le Royal" anzutreffen war, in der Nähe vom Bahnhof, in einem riesigen Bau von 1929, den die Roten Khmer 1975 bis 1979 angeblich als Lager für ihren Stockfisch benutzten, bis sich die Raffles-Luxushotelgruppe erbarmte und "Das Königliche" 1997 für eine andere Kundschaft in Betrieb nahm, die der gelbgestrichenen kolonialen Pracht eine angemessenere Wertschätzung entgegenbringt.


Nicht nur die Touristen sind dabei, sondern vor allem auch die Einwohner von Phnom Penh, als es heisst: „Heraus, heraus zum 5. Mai!“ Auf der großen Freifläche zwischen Königspalast und Nationalmuseum findet an diesem Tag das königliche Pflügen statt, an dessen Ende die Hofwahrsager dem geneigten Publikum hier und daheim am Fernsehschirm (letzteres ist witterungsbedingt die Mehrheit) mitteilen werden, ob’s ein gutes Jahr für die Landwirtschaft und ein friedliches für die Nation werden wird. Wer gedacht hat, er könne den aktuellen König, Norodom Sihamoni den Ersten, daselbst hinter dem Pflug einherschreiten sehen in goldenem Ornat und fast-rembrandtschen Helm über den Ohren, wird bitter enttäuscht. Denn was der Kaiser zu Beginn der Feldbestellungszeit im alten China hat höchstpersönlich machen müssen, dafür darf sich der kambodschanische König einen Prinzen bestellen. So hat es heuer fürs Ritual den Prinzen Norodom Singharat und seine Gattin erwischt. Dabei ist eigentlich völlig schnurz, wer da pflügt: Denn hier bestimmen die Ochsen, wie das Jahr wird. Aber der Reihe nach.


Ich kämpfe am Rand des Feldes für die Pflügeaktion um meinen Stehplatz. Dabei bin ich früh gekommen, es ist erst kurz nach 8 Uhr, und ich bin schon leicht apathisch hinter meinen schweißverklebten Brillengläsern und in der bereits wässerigen Ober- und eben solcher Unterbekleidung. So kann ich die kleinen Drängler und die größeren Vorbeischieber nicht abwehren, bis sie alle an mir wie an der goldenen Gans kleben, denn weiter nach vorn schieben wir uns nicht: Das Feld ist abgesperrt. Es hat etwas Schulhofmäßiges und erinnert mich an die nachmittäglichen Grundschul-Sportstunden mit 50-Meterlauf und Völkerball, allerdings mit viel mehr Theaterkostüm und weit über der Hitzefrei-Marke. Die Prozession ist schon im Gange mit drei Ochsengespannen zu jeweils zwei Ochsen, die Hörner mit rote Mützchen verziert und die Rücken in goldener Seide verhüllt, und diversem Personal, in märchenhafter Verkleidung hinterherschreitend. Wie im Märchenspiel ist der Pflug eine Attrappe, die nur Schleifspuren im Erdreich hinterlässt. Doch möchte ich mit dem Pflügeprinzen nicht tauschen. Wenn schon das einfache Stillstehen in leichter Sommermontur eine schweisstreibende Prozedur ist ... Hinter den Ochsen und dem Pflug und dem Prinzengemahl läuft die prinzliche Ehefrau, die so tut, als würde sie aus ihrer goldenen Schale ein bisschen aussäen, vorrangig und allzu deutlich sichtbar aber damit beschäftigt ist, ihre goldenen Slipper nicht im Sand zu verlieren, der zwar ungepflügt, aber von den vielen Ochsenrunden zur Pantoffelunpassierbarkeit verwandelt worden ist. Sie hat sicher Stunden beim Friseur für die 60er Jahre-Turmbau-Frisur zugebracht – und jetzt muss sie einfach nur Haltung bewahren, das Staatsfernsehen sieht alles.


Dagegen latschen die Hofwahrsager einfach nur hinter dem Pflug her, die Bäuche in den losen Tüchern nur mühevoll versteckt, wohl eher genervt als geehrt durch diese Prozedur. Und sie sind – egal, was meine Khmerlehrerin mir erzählt – keine buddhistischen Mönche. Indischer kann man nicht einmal in Indien aussehen in weißem Gewand über der Leibesfülle und das spärliche Haupthaar zu einem hübschen Dutt aufgesteckt. In Angkor zieren ihre Berufsvorfahren, in Stein geschlagen, viele Wände der Tempel, die Shiva, Brahma oder Vishnu gewidmet waren, bevor das Land sich endgültig – aber wohl nicht hundertprozentig – dem Buddhismus zuwandte. Indisches hat gut in Kambodscha überlebt, angefangen von den zierlichen weißen Kühen (die hier allerdings vor dem Metzger nicht sicher sind) bis hin zu den heiligen Sprachen Pali und Sanskrit, in denen auch heute noch die buddhistischen Mönche zu lesen und zu schreiben ausgebildet werden. Lesen muss heute niemand. Es ist Aufgabe der Hofwahrsager, sich einen Reim auf das zu machen, was die Ochsen ihnen vorgefuttert haben: Denn die bestimmen die Zukunft durch die Wahl der Speisen und Getränke, die man ihnen nach der Pflügezeremonie vorsetzt.


Bis zur Ochsenfütterung und Wahrsagerei halte ich es vor Ort nicht mehr aus. In Abwandlung des ach so wahren Liedes über die englische Kolonialignoranz, des berühmten „Mad Dogs and Englishmen“, aktualisiere ich den Refrain zu „Mad dogs and German girls go out in the midday sun“ (obwohl es noch nicht einmal 10 Uhr ist) und erlaube mir, bevor mich Hitzschlag und/oder Wahnsinn dahinraffen, die Flucht zu einem Eiskaffee. Ich lese das Verdikt der Wahrsager am nächsten Tag in den „Asia Pacific News“: „Zwei schokoladenbraune Ochsen durften von sieben Schüsseln wählen – Gras, Wasser, Wein, Mais, Reis, Bohnen und Sesam standen zur Verfügung. Einer verweigerte alles, der andere fraß 45 % der Maisration, bevor auch er den Schüsseln den Rücken zudrehte.“ Selbst ein Wahrsage-Laie wie ich erkennt darin ein schlechtes Omen, und so soll das Bauernjahr nun werden: Maisbauern werden eine durchschnittliche Ernte erwarten können, allerdings sieht es für den Reis nicht gut aus – an Regen wird es mangeln, das ist schlecht für den kambodschanischen Nassreisanbau. Hätten die Ochsen bloß etwas getrunken ... Doch nicht den Wein – denn wenn die Ochsen sich besaufen, dann gibt es Krieg! Dass es den nicht geben wird, ist mal wieder ein Grund zum Feiern.


Und schon am 14. Mai geht es weiter mit den Festen. Da gibt der König seinen Untertanen zu seinem 54. Geburtstag drei Tage frei. Wie – sagt ihr – den ganzen April im Neujahrsrausch verbringen und im Mai nicht feste arbeiten? Aber was wollt ihr eigentlich – mit Himmelfahrt und Pfingsten ist auch euer Mai ein Wonnemonat, ohne dass ihr einen König habt und ohne dass ihr einen Pflug auch nur von weitem seht.


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 21. Mai 2007.


© Mimi Productions