Südostasiatische Weihnachten

Dezember 2008.


Südostasiatische Weihnachten.
Zeit zum Nachdenken unter Palmen.





An manchen Abenden habe ich mir einfach die Happy Hour verdient. Zwei leckere Cocktails zum Preis von einem und dazu die fettesten Erdnüsse der Stadt (gezuckert und gesalzen, eine kambodschanische Spezialität), alles im "Tamarind", meinem Lieblingsrestaurant mit Dachterrasse, nur fünf Minuten Fußweg vom Büro entfernt. Im Dezember munden die Cocktails besonders gut, wenn ich nicht an Stuhl und Glas festklebe und eine leichte Brise die Mücken daran hindert, sich auf meiner Achilles-Ferse niederzulassen und mich blutleer zu saugen. Wunderbar, dass ich mich so normal fühlen kann bei nur 27 Grad. Es ist ja Weihnachten, und ich muss nicht feiern. Angeblich beginnt jetzt auch diese merkwürdige "Zeit zwischen den Jahren", eine Art temporären Niemandslandes - eingeklemmt zwischen Gänsebraten und Neujahrskrapfen, wenn man in Deutschland ist - sanft verstreichend zwischen der ersten und der letzten Margarita, wenn man im "Tamarind" sitzt. Nachdenken über die fröhlichste Zeit im Jahr. Man kann ihr nicht einmal hier entgehen: Erinnerungen an den Weihnachtsmann laufen auch im "Tamarind" herum; die roten Bommelmützen kosten auf dem Markt 1 US$ und werden von allen Kellnern, Ladenmädchen und Kindern im Grundschulalter mit mehr oder weniger Begeisterung über die Ohren gestülpt.


Was denken wohl KambodschanerInnen über Weihnachten? Ich forsche nach. Das ist nicht schwer, denn inzwischen gebe ich meinen Rechnungsprüferkollegen Englischunterricht, damit sie auch mal etwas Vernünftiges lernen. Mein Mini-Kurs besteht aus vier erstaunlich lernwilligen jungen Männern, die kichern wie kleine Mädchen, wenn ich sie darauf hinweise, dass sie schon wieder einmal vergessen haben, das Endungs-S auszusprechen. Das passiert alle naselang. Das Verschlucken der Ende-Konsonanten - es betrifft ja nicht nur das merkwürdig stummgehaltende S, sondern auch alle anderen - ist tatsächlich komisch. Wo das wohl herkommt? Keiner meiner Prüfer hat französisch gelernt. Als Erklärung wird mir angeboten: Khmer-Wörter enden zwar auch manchmal mit einem S, das spricht man aber so gut wie nie aus. Naturgemäß behandelt man andere Sprachen genau so, selbst wenn's falsch ist und selbst wenn man's besser weiß, wohl aus Gewohnheit. Trotz alledem heißt es auf englisch korrekterweise: "My father owns many cars" und nicht "My father own many car." Und eigentlich wollen meine Prüfer ja auch richtig englisch sprechen lernen. Also üben wir sehr lange mit allen möglichen Pluralbildungen. Der Saison angemessen gebe ich das Thema vor: "We have a lot of artificial Christmas trees in Phnom Penh." Im Gegensatz zu der Bemerkung über den Vater mit den vielen Autos kann ich mich für die Richtigkeit der Kunst-Weihnachtsbaum-Anzahl in Phnom Penh verbürgen.


Nebenbei kommt heraus: Meine jungen Kollegen finden Weihnachten prima, auch wenn nicht klar ist, warum man das eigentlich feiert. Ist da nun ein Gott geboren, mit weißem Bart und rotem Mantel? Betet man den Weihnachtsgeist im Tannenbaum an? Ist ja auch egal, denn schließlich hat es mit Spaß zu tun. Den haben Kambodschaner gern. Einer schreibt in seinem Pflichtaufsatz für meinen Englischunterricht: "I am Cambodian and I always enjoy Christmas day too. On that day I had a small party with my old friends and I bought something for my family and I say: 'Happy Merry Christmas and Happy New Year'. Moreover, I sent text message or an email with blessing to all my friends who are staying far away from me. So I think that Christmas is the happy day for Cambodian people." Da frage ich mich doch sofort: Warum bin ich bloß so ein Weihnachtsmuffel, wenn doch hier offensichtlich alle Happy Merry Christmas mit Freude feiern? Ein anderer Kollege freut sich in seinem Aufsatz darüber, dass es nicht nur zu Weihnachten Geschenke gibt, sondern auch am Valentinstag im Februar. Alle stimmen überein: "Holiday makes you happy." Um so mehr, wenn "a lot of artificial Christmas trees are plant everywhere in Phnom Penh".


Von einem meiner "Tamarind"-Abende trete ich beschwingt den Heimweg an und sehe unweit von meinem Lieblingsrestaurant über der Residenz des amerikanischen Botschafters eine riesige Leuchtschrift schweben: "Merry Christmas". Ich mache ein schnelles Foto. Aber das war für den Wachmann in seiner Loge neben dem Tor nicht schnell genug – er hat mich beobachtet, und jetzt will er meinen Ausweis sehen – jawohl, Passkontrolle vor Weihnachtsreklame. Der Wachmann ist ein ernsthafter Kambodschaner ("no nonsense"), für den mein Weihnachtsdeko-Foto ein Sicherheitsproblem für die amerikanische Präsenz in Kambodscha darstellt. Ich bin absolut unkooperativ. Mal sehen, was passiert. Drei Margaritas fließen durch meinen abendlichen Kreislauf, bei optimaler Außentemperatur von (geschätzten) 26 Grad. Mir kann keiner ...


Gibt es ein Gesetz in Kambodscha, das das Fotografieren über Gartenzäune verbietet? Nein, und wenn schon. Ich bin sicher, dass der Wachmann das genau so wenig weiß wie er die Existenz oder Nichtexistenz einer Rechtsverordnung zur Regelung von Lebensmittelfarben in schwarzen Bohnen kennt. Aber er ist kein gewöhnlicher Wachmann – er steht vor der Residenz des amerikanischen Botschafters und hat viel Lametta auf der Uniformbrust. Das sehe ich sogar bei der spärlichen Straßenbeleuchtung. Und er ist nicht allein: In Rufweite stehen zwei ebenfalls lamettierte Herren, die sich an der Tür eines Wagens festhalten. Mein Wachmann wiederholt seine an mich gerichtete Aufforderung - aber ich will mich nur beugen, wenn ich von seinem amerikanischen Vorgesetzten eine Begründung für die Passkontrolle erhalten habe. Soviel Impertinenz ist der Wachmann nicht gewohnt und muss sich erst mit seinen beiden Kollegen besprechen. Jetzt lehnen sie zu dritt am Auto und telefonieren, jeder auf seinem Handy. Mit wem wohl? Der Wachmann kehrt zu mir zurück: Ich solle sagen, bei wem ich in Phnom Penh arbeitete. "Gern", erwidere ich - beim Rechnungshofpräsidenten, Seiner Exzellenz Uth Chhorn. Der gute Mann fragt zurück: "Uth Jaan?" "Uth Chhorn", verbessere ich sanft. Dann redet er mit wem auch immer auf Khmer über einen gewissen Uth Jaan. Schließlich ist das Telefonat beendet. Der Wachmann sagt zu mir, plötzlich mit dem üblichen Khmerlächeln übers ganze Gesicht: "Alles okay, Sie können gehen. Mein Boss sagt, er kennt Sie und Uth Jaan." Erstaunlich, denke ich - wer ist Uth Jaan?


Die ganze Albernheit dauert eine gute halbe Stunde. Zu Hause gucke ich mir das Foto an, digital macht es möglich. Auf dem Foto ist ein buntes Lichtermeer zu sehen, nicht mehr. Wenn das der Weihnachtsmann wüsste ... Oder Uth Jaan ...


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 30. Dezember 2008.


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