Die kambodschanische Tierwelt bei Vollpension

August 2008.


Die kambodschanische Tierwelt bei Vollpension.
Ein Spaziergang durch den Zoo von Phnom Tamao.





Was haben Gibbon, Sambar und Gaur gemein? Die Staatsbürgerschaft - alle drei sind Kambodschaner, und ich habe sie im Zoo besucht. Während auf allen Fernsehkanälen Olympia in Beijing gegeben wird, gönne ich mir ein anderes Spektakel, einen Spaziergang durch den "Phnom Tamao Zoological Garden and Wildlife Rescue Center", ungefähr 45 km südlich von Phnom Penh. Der Name klingt ein wenig dick aufgetragen, und die Anfahrt mit Herrn Thi und seinem Tuk-Tuk auf der holperigen Staubstraße entlang von endlos sich hinziehenden Reisfeldern war ebenso schüttelintensiv wie ereignisarm, so dass ich zunächst enttäuschungsvorbeugend meine Erwartungshaltung beschränke. Jedoch wäre das nicht nötig gewesen. Die einzige Hürde überspringe ich mühelos schon am Eingang: Ich muss mir die Eintrittskarte (stolzer Preis für Ausländer: 5 US$) für mein Tagebuch erkämpfen. Sehr mürrisch guckt der Verkäufer und schiebt sie nur widerwillig über den Tresen. Gern hätte er wohl den Eintrittspreis mehrmals für die nummerierte Karte kassiert, was er nun nicht mehr kann.


Sofort bin ich von einer Schar kreischender Kinder umringt, die mir nichts verkaufen wollen, sondern bloß mal ein bisschen Krach machen vor Publikum. Gerettet werde ich von einem jungen Mann mit erfreulichen Englischkenntnissen. Er komme jeden Tag hierher, sagt er mir, und er sei ein guter Führer. Er hat mich nicht angeschwindelt, tatsächlich erfahre ich etwas über die Tiere, das über die Beschriftung an den Käfigen hinaus geht (denn jawohl, die gibt es, sogar auf englisch!). Mein Führer scheint alles über die Zoobewohner zu wissen: Name, Alter, Familienstand, Essgewohnheiten. Und er sagt mir sogar, wie ich sie am besten fotografieren kann: "Warte, gleich kommt das Stachelschwein aus seinem Bau!" Er macht ein merkwürdiges Geräusch, hält einen langen Grashalm durch den Maschendraht - und wie auf Knopfdruck erscheint die schwarz-weiße Riesenbürste und knabbert gar zierlich an dem Grünzeug. Klick - und fertig ist das erste Portrait.


Das Tolle an diesem Zoo ist die Zusammenstellung der Tiere, die man hier in Ruhe studieren kann, um sie später - bei einigem Glück - in voller Schönheit in freier Wildbahn wiederzuerkennen - solange es sie noch gibt. Denn die meisten der kambodschanischen Wildtiere gehören zu gefährdeten Arten, ein Status, der ihnen hier, wo sie als Beilage zur täglichen Reisration betrachtet werden, keinen Schutz gewährt.


Der Irrawaddy-Delphin (der in Kambodscha "Mekong-Delphin" heißen sollte) muss draussen bleiben, weil ein seinen Bedürfnissen entsprechendes Schwimmbecken für den Zoo zu aufwändig gewesen wäre. Dafür hat ein kleinerer Kerl seinen eigenen See (10 x 15 m!) bekommen und ist inzwischen eine regelrechte Lokal-Berühmtheit. Wo viele bei dem Ausdruck "Schwimmen" jetzt nur noch an Michael Phelps und sein tonnenschweres olympisches Gold denken, konzentriere ich mich auf diesen tierischen Meisterschwimmer, den ich zudem auch noch hübscher anzusehen finde als das amerikanische Wasser-Wunder. Dieser hier heißt Dara (auf deutsch "Stern") und ist ein "Lutra sumatrana", ein Otter mit einer behaarten Nase. Jawohl - so etwas gibt es, d.h. so etwas gibt es noch. Denn einige Biologen behaupten, dass Dara einer der letzten seiner Art in Kambodscha ist. Neben seinem neuen Heim wohnen die eher gewöhnlichen Verwandten (Eurasische Otter, Lutra lutra), die sich ein viel kleineres Wasserbecken teilen müssen, aber irgendwie vergnügter und auch ein wenig streitlustig wirken. Es ist nämlich Zeit zum Mittagessen, da drängeln sie sich alle am Gatter, wo bereits der Eimer mit lecker Fischchen auf sie wartet, und machen ein Mordstheater wie Marktschreier kurz vor Feierabend. Diese Otter sind sehr gesellige Kerlchen, und ich wünsche Dara, dass er nicht mehr lange Junggeselle bleiben muss.


Was zu gucken gibt es auch bei der Gibbon-Familie "Hylobates lar lar". Ein Gibbon ist ein kleiner Affe, dessen bemerkenswerte Fortbewegungsart ein Schwingen von Ast zu Ast ist, was ihn wie einen Mini-Tarzan erscheinen lässt, bloß ist er im Gegensatz zu dem menschlichen Brüller wesentlich eleganter. Bis zu 15 m Distanz zwischen den Bäumen kann er im Fast-Flug überwinden und das bei einer Geschwindigkeit von bis zu 56 km/h, wahrhaft olympisch. Im Zoo ist der Käfig für solche Hochleistungen zu klein, doch die Turnübungen auch der ganz Kleinen beeindrucken mich. Diese Babies bestehen eigentlich nur aus sehr dünnen, aber extrem langen Armen, die sie weit vom Körper abstrecken. Bewegungslosigkeit kennen sie nicht, sie greifen mit einem kleinen Händchen, das genau so aussieht wie meines, nur in ganz, ganz winzig, komplett mit allen fünf Fingerchen und Fingernägelchen, in den Maschendraht, und mit der sprichwörtlichen affenartigen Geschwindigkeit stoßen sie sich ab, um sich an anderer Stelle mit dem anderen Händchen kurz festzuhalten, aber schon pendelt der andere Arm weiter und nimmt das schmale Körperchen mit, das zwischen diesen langen Gliedmaßen wie eine Geisel wirkt: Es wird hin- und hergeschaukelt und muss immer mit, ob es will oder nicht. Schon beim Zugucken wird mir schwindelig. Wie machen die das bloß in der mittäglichen Hitze!


Nach all dieser Hektik wende ich mich ruhigeren Zeitgenossen zu, die einfach nur herumliegen und kauen und außer dem Unterkiefer rein gar nichts bewegen. Ich stehe vor dem Gehege der Gaur. Wenn ich die so betrachte, dann frage ich mich, warum die Kambodschaner keine Gaur domestiziert haben, sondern diese klapprigen weißen Kühe, die keine Milch geben und kaum Fleisch auf den Rippen haben. Der Gaur (Bos gaurus) ist das größte wildlebende Rind in Süd- und Südostasien, das bis zu 1.500 kg wiegen kann bei einer Schulterhöhe um die 2 m. In seiner Massigkeit sieht der Gaur dem Wasserbüffel ziemlich ähnlich. Das Prachtexemplar, das da in meiner unmittelbaren Nähe, aber erfreulicherweise hinter einem recht stabil aussehenden Zaun vor sich hin verdaut, besticht durch seine hellblonde Lockenpracht zwischen den Respekt einflößenden Hörnern: ein hübscher Kontrast zum dunkelbraunen Fell. Obwohl der Gaur angeblich ein relativ harmloser Vergetarier sein soll (wenn man ihn in Frieden grasen lässt), möchte ich keinem bei meinem Waldspaziergang begegnen.


Ich denke, dass ich auch vor einem Sambar davonlaufen würde. Diese Hirschart ist in vielen Teilen Asiens anzutreffen, in Kambodscha lebt der Clan der "Cervus unicolor". Richtig klein ist dieser Sambar nicht, und schwer (bis 500 kg) wird auch er. Aber der Sambar-Bock im Zoo von Phnom Tamao ist noch ganz jung, mit antilopenartigem schmalen Gesicht und einer dramatischen Zeichnung von der Stirn zum Geweih, was mich an die Gesichtsbemalung der Peking-Oper-Darsteller erinnert. In Kambodscha ist sein Hauptfeind, der Tiger, so gut wie ausgestorben. Dafür wird der Sambar wegen seines Fleisches von den Menschen gejagt, auch wenn's verboten ist.


Wie reich die Tierwelt Kambodschas (noch) ist! Solange die Khmer ihre Wälder nicht gänzlich abgeholzt haben, die Jagdverbote beachten und die eingerichteten und geplanten Schutzgebiete für Flora und Fauna ernst nehmen, besteht Hoffnung für Marabus (Leptoptilos dubius), Mungos (Herpestes javanicus), Schakale (Canis aureus), Fisch-Eulen (Ketupa zeylonensis) und die vielen anderen Lebewesen dieser "asiatischen Serengeti", wie ein wunderbarer Dokumentarfilm über die Provinz Mondulkiri die kambodschanische Tierwelt bezeichnete.


Helga aus dem Königreich der Khmer.
Phnom Penh, 20. August 2008.


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